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Kinderlähmung (Polio)

Kinderlähmung (Polio)

„Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam!“ Immer weniger Menschen kennen den Slogan, mit dem bis in die späten 70-iger Jahre für die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung geworben ...

by Kaz Liste K

„Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam!“ Immer weniger Menschen kennen den Slogan, mit dem bis in die späten 70-iger Jahre für die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung geworben wurde. Der Einsatz war bitter nötig. Mittlerweile liegt der jüngste Fall hier mehr als 20 Jahre zurück. Den größten Anteil daran hat die Polio-Schutzimpfung.

Synonyme

Kinderlähmung, Poliomyelitis, Polio, Heine-Medin-Krankheit

Definition

Kinderlähmung (Poliomyelitis, kurz Polio) ist eine Viruserkrankung, die durch Polio-Viren verursacht wird. Mediziner bezeichnen diese Erkrankung auch als Heine-Medin-Krankheit.

Poliomyelitis ist eine nicht heilbare Entzündung von Nervenzellen im Rückenmark. Durch die Infektion kann das zentrale Nervensystem so weit in Mitleidenschaft gezogen werden, dass Kinder beispielsweise die Beine nicht mehr richtig steuern und bewegen können. Daher die umgangssprachliche Bezeichnung Kinderlähmung. Mediziner bezeichnen die schwere Symptomatik von Polio als paralytisches Stadium. Das nichtparalytische Stadium der Kinderlähmung verläuft ohne Lähmungen.

Die Rückbildung der Lähmungen kann Jahre dauern. Bei jedem 2. Kind, das das paralytische Stadium erreicht hatte, bleiben Restlähmungen für immer bestehen.

Das Post-Polio-Syndrom kann noch Jahrzehnte nach der Infektion Komplikationen verursachen. Die Symptome reichen von Kraftlosigkeit und Erschöpfung über Schmerzen und Krämpfe bis zu neurologischen Ausfällen wie Sprechschwierigkeiten und Atemproblemen.

Große Erfolge im Kampf gegen die Kinderlähmung

Weltweit steht die Kinderlähmung kurz vor der Ausrottung. Vor allem mit Geld der Bill & Melinda Gates Stiftung finanziert die Weltgesundheitsorganisation WHO seit mehr als 30 Jahren eine internationale Impfkampagne mit durchschlagendem Erfolg: Seit 1988 ist die Zahl der Polioerkrankungen um 99,9 Prozent von gut 350.000 auf 359 im Jahr 2014 zurückgegangen. Im Zuge der COVID-19-Pandemie haben die Impfprogramme allerdings in weiten Teilen der Welt erhebliche Rückschläge hinnehmen müssen. Inwieweit sich das auf die Verbreitung der Kinderlähmung auswirken wird, ist bislang (Stand Juni 2021) nicht seriös vorherzusagen.

2 von 3 Polioviren ausgerottet

Erreger der Kinderlähmung sind Polioviren. Mediziner unterscheiden drei Untertypen, die die Kinderlähmung hervorrufen. Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind 2 der 3 wilden Polioviren-Typen nunmehr ausgerottet. Das Lansing-Virus (Typ 2) wurde schon seit 1999 nicht mehr nachgewiesen. Seit 2012 gab es nach WHO-Angaben vom Oktober 2019 auch keine Infektionen mit dem Typ-3-Poliovirus Leon mehr. Daher dürfe auch dieses Virus als ausgerottet betrachtet werden.

Nach wie vor aber komme es zu Infektionen mit dem potenziell gefährlichsten Erreger, dem Poliovirus Typ 1 (Brunhilde). Als besonders betroffen gelten gegenwärtig Afghanistan, Pakistan (mindestens 72 Fälle in 2019) und die Philippinen.

Impfmüdigkeit könnte Kampf gegen Polio gefährden

Wegen der geringen Fallzahlen wird Kinderlähmung in den entwickelten Ländern immer weniger als Risiko wahrgenommen. Das Robert-Koch-Institut (RKI) verzeichnet eine über nunmehr 3 Jahre rückläufige Impfquote. 2017 lag sie demnach zu Schulbeginn bei 92,7 Prozent. Nach Empfehlungen der WHO sollte die Quote bei mindestens 95 Prozent liegen. Nach RKI-Angaben bedeutet eine um 1 Prozent niedrigere Impfquote, dass pro Jahrgang etwa 50.000 Kinder nicht ausreichend vor Kinderlähmung geschützt sind.

Häufigkeit

1953 und 1954 hatte es in Deutschland Tausende Polio-Fälle mit fast 10.000 Toten gegeben. Bei der letzten großen Polio-Endemie im Jahr 1961 erkrankten alleine in Deutschland mehr als 4.600 Kinder. Demnach waren fast 50.000 Kinder mit Polioviren infiziert. Denn nur 1 Prozent der Infizierten entwickelt die klassischen Symptome der Kinderlähmung.

Heute gelten Deutschland und Europa als poliofrei. Das RKI verzeichnete die letzte Polioinfektion in Deutschland vor mehr als 20 Jahren (1990). Seitdem registrierte es nur Einzelfälle, die außerhalb von Europa erworben und nach Deutschland eingeschleppt werden.

Über die Anzahl der Post-Polio-Fälle in Deutschland finden sich verschiedene Angaben. Sie dürfte zwischen 50.000 und 100.000 Fällen liegen. Männer sind dabei häufiger betroffen als Frauen.

Symptome

Poliomyelitis ist eine Entzündung von Nervenzellen im Rückenmark. Diese Nervenzellen verlieren dadurch mitunter die Fähigkeit, Muskelgruppen zu steuern. Die sich daraus ergebenden Symptome der Kinderlähmung sind je nach Infektions- beziehungsweise Krankheitsverlauf sehr unterschiedlich.

In mehr als 95 Prozent aller Fälle verläuft eine Polio-Infektion ohne Beschwerden. Die Betroffenen bilden nach der Infektion mit den Polioviren Antikörper und sind immun. Mediziner bezeichnen das als stille Feiung.

Akute Symptome von Kinderlähmung

Mitunter gibt es akute Fälle von Kinderlähmung, bei denen es nach einer Inkubationszeit (also der Zeit von der Ansteckung bis zum Auftreten erster Beschwerden) zu einer etwa dreitägigen Allgemeinerkrankung kommt. Betroffene fühlen sich unwohl, haben Fieber und Halsschmerzen, oft auch Durchfall und Erbrechen. Bei mehr als 75 Prozent der Erkrankten ist die Kinderlähmung damit beendet. Mediziner bezeichnen diese Form als abortive (abgekürzte) Poliomyelitis.

Gefürchtet sind die Formen der Kinderlähmung, bei denen das zentrale Nervensystem beteiligt ist. Dort gibt es wiederum zwei Verlaufsformen.

Nichtparalytisches Stadium der Kinderlähmung: Bei 5 bis 10 Prozent der Menschen kommt es zu einer Beteiligung von Gehirn und Rückenmark. Dem Unwohlsein folgt eine fieber- und beschwerdefreie Phase von etwa einer Woche. Im Anschluss daran entwickelt sich eine nicht-infektiöse Hirnhautentzündung (aseptische Meningitis) mit einem erneuten Fieberanstieg, Kopfschmerzen und Nackensteifigkeit. Lähmungen treten jedoch nicht auf. Mediziner sprechen vom nichtparalytischen Stadium der KinderlähmungParalytisches Stadium (klassische Kinderlähmung): Bei 1 Prozent der Erkrankten aber entwickelt sich die klassische Kinderlähmung, die die meisten Menschen mit dem Krankheitsbild Polio verbinden. Mediziner sprechen vom paralytischen Stadium. In dessen Verlauf bessern sich die Symptome der Hirnhautentzündung zunächst. Nach wenigen Tagen bis 2 Wochen aber tritt die plötzliche „Morgenlähmung" ein. Am Vorabend noch völlig gesund erscheinende Kinder liegen morgens schlaff und mitunter völlig regungslos im Bett. Von der Morgenlähmung können nahezu alle Muskeln betroffen sein. Die genaue Ausprägung der Lähmungen hängt davon ab, in welchem Segment des Rückenmarks die Polioviren die Entzündung, die Poliomyelitis, ausgelöst haben. Betroffen sein können beispielsweise die Oberschenkelmuskulatur, die Muskulatur von Rumpf und Zwischenrippenräumen, Harnblase, Mastdarm und sogar das Zwerchfell sowie die Atemmuskulatur.

Selten sind auch Hirnnervenkerne entzündet. Diese bulbäre Poliomyelitis äußert sich in mitunter sehr hohem Fieber, Schluckbeschwerden sowie Atem- und Kreislaufregulationsstörungen. An dieser ernsten Verlaufsform versterben viele Kinder.

Spätschäden

Die Rückbildung der Lähmungen kann Jahre dauern. Bei jedem 2. Kind, das das paralytische Stadium erreicht hatte, bleiben Restlähmungen für immer bestehen.

Post-Polio-Syndrom

Viele Jahrzehnte nach überstandener Kinderlähmung können erneut Komplikationen auftreten. Typische Beschwerden des Post-Polio-Syndroms sind abnehmende Muskelkraft, schnelle Ermüdbarkeit und Schmerzen sowie Muskelschwund, Muskelzuckungen und Krämpfe. Bei Hirnnervenlähmungen sind Sprechschwierigkeiten, ein erhöhtes Verschlucken-Risiko sowie Atemprobleme bis hin zu ständiger Atemnot eine Folge.

Die Diagnose des Post-Polio-Syndroms ist oft nicht einfach, da sich die Beschwerden schleichend entwickeln. Zu Beginn sind sie zuweilen von Alterungserscheinungen nicht zu unterscheiden. Außerdem denken viele Ärzte nicht an dieses Krankheitsbild.

Ursachen

Erreger der Kinderlähmung sind Polioviren. Mediziner unterscheiden drei Untertypen, die die Kinderlähmung hervorrufen. Typ 1 ist Virus Brunhilde (am stärksten lähmungsauslösend), Typ 2 ist der Lansing-Typ (verursacht eher milde Verläufe), Typ 3 heißt Leon (ist selten, aber bedingt oft schwere Verlaufsformen). Die Typen 2 und 3 gelten mittlerweile als ausgerottet. Das erklärte die WHO für den Lansing-Typ bereits 2015. Die Meldung über die erfolgreiche Bekämpfung des Leon-Typs datiert aus dem Oktober 2019.

Übertragung

Polio-Viren werden bei schlechten hygienischen Bedingungen durch kotverschmutzte Hände oder Gegenstände übertragen und über den Verdauungstrakt aufgenommen (sogenannte fäkal-orale Schmierinfektion). Mitunter sind auch Übertragungen durch Tröpfcheninfektion durch Niesen oder Husten möglich.

Behandlung

Eine direkte und ursächliche Behandlung von Kinderlähmung gibt es nicht. Ärzte können sich leider nur darauf beschränken, die Symptome zu lindern. Bei Schmerzen oder Entzündungen ist das noch vergleichsweise einfach. Hier helfen gängige Medikamente wie Paracetamol, Diclofenac oder Ibuprofen.

Viel komplizierter ist es häufig, die Folgen der Lähmung zu beherrschen und dabei auch ein gutes Maß an Lebensqualität für die Erkrankten sicher zu stellen. Die bulbäre Poliomyelitis beispielsweise geht mit Entzündungen von Hirnnerven einher, die nicht selten die Regulation des Kreislaufes stören. In diesen Fällen muss eine individuell passende Medikation dabei helfen, Herz und Kreislauf zu stabilisieren. Auch die Steuerung der Atmung und die Atemmuskulatur selbst können gestört oder gelähmt sein. Dann sind die Betroffenen – mitunter ein Leben lang – von Beatmungshilfen abhängig. Bei einer Lähmung der Speiseröhre beispielsweise wird künstliche Ernährung notwendig. Diese Beispiele geben nur einen kleinen Ausschnitt der möglichen Einschränkungen durch die Polioerkrankung wieder.

Nachbehandlung in Spezialkliniken

Die Nachbehandlung von Kinderlähmung ist sehr langwierig und sollte in speziellen Kurkliniken erfolgen. Dort erfolgen beispielsweise orthopädische Operationen. Zudem erhält der Patient Hilfsmittel wie orthopädische Schuhe oder einen Rollstuhl. Bei verbliebenen Lähmungen helfen mitunter speziell angefertigte Stützapparate.

Vorbeugung und Impfung

Die einzige Vorbeugungsmaßnahme gegen Kinderlähmung ist die Polio-Schutzimpfung. Und die ist überaus wirksam. Deutschland und Europa gelten seit mehr als 20 Jahren als poliofrei. Weltweit konnte die Zahl der Erkrankungen seit den späten 80iger Jahren um 99,9 Prozent gesenkt werden.

Schluckimpfung kann Polioviren verbreiten

Paradoxerweise steht ausgerechnet einer der Garanten des Impferfolges, die Schluckimpfung, indirekt der Ausrottung von Polio im Weg. Das hat folgenden Hintergrund: Die abgeschwächten Polioviren in der Schluckimpfung können keine Polioinfektion auslösen. In der Hinsicht sind diese Impfstoffe sicher. Aber: Die Polioviren aus diesen Impfungen bleiben nach der Magen-Darmpassage vermehrungsfähig – und gelangen so mit dem Stuhl in die Umwelt. Kommen nun nicht geimpfte Menschen mit diesen Viren in Kontakt, beispielsweise Mütter beim Windelwechsel, Kanalarbeiter oder medizinisches Personal, kann das Poliovirus diese Menschen infizieren. Das hat wiederum 2 Folgen: Diese Menschen können erkranken. Und: Sie scheiden das Virus aus und tragen so zur weiteren Verbreitung bei.

Aus diesem Grund wird die Polio-Schutzimpfung in Deutschland schon lange nicht mehr als Schluckimpfung gegeben. Aktuell werden inaktivierte Viren als sogenannter inaktivierter Poliomyelitis-Impfstoff (IPV) verwendet.

Offizielle Polio-Impfempfehlungen

Die Ständige Impfkommission (STIKO) des Robert Koch Instituts (RKI) empfiehlt die Impfung mit einem inaktivierten Poliomyelitis-Impfstoff (IPV) für alle Menschen. Die Grundimmunisierung soll idealerweise bis zum 18. Lebensjahr erfolgen. Für Menschen ohne Polioschutz oder unvollständig geimpfte Erwachsene empfiehlt die STIKO die Impfung ebenso wie mindestens eine Auffrischungsimpfung.

Polio-Impfstoffe

Auf dem deutschen Markt gibt es eine Vielzahl von Polio-Impfstoffen. Dabei handelt es sich um Vakzine, die entweder nur vor dem Poliovirus schützen oder um Kombinationspräparate. Die Kombinationspräparate enthalten beispielsweise Komponenten gegen Diphtherie, Tetanus (Wundstarrkrampf) und Keuchhusten (Pertussis). Üblicherweise werden die Kombinationspräparate zur Grundimmunisierung von Kindern eingesetzt, weil diese Impfstoffe die Impfbelastung so gering wie möglich halten.

Impfschema

Laut der im August 2020 aktualisierten STIKO-Empfehlung erhalten Säuglinge bei Verwendung eines Kombinationsimpfstoffes in der Regel die ersten beiden Impfungen im Alter von 2 und 4 Monaten. Die 3. Impfung wird dann mindestens 6 Monate später gegeben. Eine Auffrischung der Impfung wird für das zwischen dem 9. und 17. Lebensjahr empfohlen.

Die Nachholung einer Grundimmunisierung noch nicht Geimpfter sowie die Komplettierung einer unvollständigen Impfserie ist bis ins hohe Alter möglich.

Polio: Reise – Impfvorschriften

Im Oktober 2020 sind Polioerkrankungen nur noch aus Afghanistan, Nigeria und Pakistan bekannt. Urlauber ohne Impfschutz setzen sich dort einem unnötigen Infektionsrisiko aus. Dieses allerdings ist – vom afghanisch-pakistanischem Grenzgebiet und Flüchtlingslagern abgesehen – sehr gering. Wer in diese Länder reist, sollte schon aus Eigenschutz den Polio-Impfschutz überprüfen und gegebenenfalls nachholen oder auffrischen.

Die WHO empfiehlt allen Staaten mit Polio-Fällen, Einheimischen und Urlaubern mit einem Aufenthalt von mehr als 4 Wochen, für die Ausreise eine Polio-Impfung vorzuschreiben. Ob und wie die Staaten diese Anregung umsetzen, ist nicht bekannt. Sicherheitshalber empfiehlt es sich für Urlauber aber, die Polio-Schutzimpfung in einen internationalen Impfausweis eintragen zu lassen.

Quellen

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