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Medikamentensucht (Medikamentenabhängigkeit)

Medikamentensucht (Medikamentenabhängigkeit)

Gelegentlich Schmerzmittel, ab und zu Abführmittel, manchmal Mittel gegen die Allergie oder etwas, um durchzuschlafen: Wir greifen oft zu Medikamenten....

by Kaz Liste M

Gelegentlich Schmerzmittel, ab und zu Abführmittel, manchmal Mittel gegen die Allergie oder etwas, um durchzuschlafen: Wir greifen oft zu Medikamenten. Zuweilen wird aus dem Gebrauch Missbrauch, Sucht und Medikamentenabhängigkeit.

Synonyme

Medikamentenabhängigkeit, Medikamentenmissbrauch

Definition

Was ist Medikamentensucht?

Als Medikamentensucht oder Medikamentenmissbrauch bezeichneten Ärzte und Psychologen lange Zeit, wenn ein Medikament ohne medizinischen Grund oder zu einem anderen Zweck als der Therapie einer Erkrankung eingesetzt wird. Gezielte Überdosierungen fallen in den Bereich des Medikamentenmissbrauchs. In jüngster Zeit setzt sich mehr und mehr durch, Missbrauch und Medikamentensucht anders zu unterscheiden. Stattdessen sprechen Experten nun von moderater und schwerer Substanzgebrauchsstörung. Letztere wird in diesem Text der Einfachheit halber weiter als Medikamentenabhängigkeit oder Medikamentensucht bezeichnet. Medikamentenabhängigkeit ist eine stille Sucht. Sie bleibt sehr oft und lange im Verborgenen. Medikamentensucht entwickelt sich meist schleichend.

Tausende Medikamente mit Suchtpotenzial

Die Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren (DHS) geht davon aus, dass bis zu 5 Prozent aller häufig verordneten rezeptpflichtigen Medikamente ein Suchtpotenzial haben. Etwa 70 Prozent der Fälle von Medikamentensucht entfallen auf die Abhängigkeit von verschreibungspflichtigen Beruhigungsmitteln aus der Gruppe der Benzodiazepine. Ohne kriminelle Energie oder Hilfe eines Arztes ist dieses Suchtmittel für die Betroffenen also nicht zu beschaffen. Für 2019 schätzen Experten, dass fast 1 Million Deutsche ab 14 Jahren täglich oder nahezu täglich Beruhigungsmittel oder Schlafmittel verwendeten.

Nach Angaben der DHS gehen in Deutschland pro Jahr 30 Millionen Packungen Schlaf- und Beruhigungsmittel über die Apothekentheken. Dabei ist der Anteil der Medikamente mit Benzodiazepinen und den verwandten Z-Drugs (Zolpidem und Zopiclon) rückläufig. Er beträgt gegenwärtig etwa 60 Prozent. Schon 2007 stellte die Bundesärztekammer fest: Alle Benzodiazepine führen auf Dauer zur Abhängigkeit.

Suchtpotenzial ohne Rezept

Der Weg in die Medikamentensucht muss nicht zwingend über den Rezeptblock führen: Bis zu 12 Prozent der nicht rezeptpflichtigen Medikamente haben ebenfalls Suchtpotenzial. Hier sind in erster Linie Schmerzmittel, alkoholhaltige Stärkungsmittel, Abführmittel, Nasentropfen oder muskelentspannende Relaxanzien zu nennen.

Der Umsatz von beruhigenden Pflanzenextrakten aus Baldrian, Hopfen und Ko. nimmt immer weiter zu. 220 Millionen Euro gaben die Deutschen 2017 für pflanzliche Schlaf- und Beruhigungsmittel aus. Bei Schmerzmitteln sind es sogar 523 Millionen Euro. Pflanzliche Beruhigungsmittel oder Schmerzmittel sind häufig eine Einstiegsdroge – etwa als vermeintlich harmlose Medikamente bei Schlafproblemen, Gelenk- oder Kopfschmerzen.

Häufigkeit

Die DHS schätzt, dass zwischen 1,5 und 2 Millionen Deutsche süchtig nach Medikamenten sind (siehe Studienlage). Die Abhängigkeit von Schlaf- und Beruhigungsmittel macht mit 1,2 bis 1,5 Millionen Menschen den größten Anteil aus. Etwa 400.000 Menschen sind demnach abhängig von anderen Medikamenten wie Schmerzmitteln oder Aufputschmitteln. Die Sucht nach Medikamenten ist häufig begleitet von Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit. Laut den offiziellen Zahlen sind 2 Drittel der Betroffenen Frauen. Bei Frauen und Männern steigt die Verbreitung der Medikamentensucht mit dem Alter.

Es gibt aber andere Studien, die zu noch höheren Zahlen kommen. Laut Suchtsurvey (siehe Quellen) liegt die Zahl der Schmerzmittelabhängigen 2018 mit 3,2 Prozent der Gesamtbevölkerung leicht über der Häufigkeit von Alkoholabhängigkeit (3,1 Prozent). Die absolute Zahl der betroffenen Männer und Frauen verdeutlicht die Dimension: Laut dieser Studie sind je 1,6 Millionen Deutsche süchtig nach Alkohol oder Schmerzmitteln. Für den Suchtsurvey hat das Münchner Institut für Therapieforschung mehr als 9.000 zufällig ausgewählte Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren befragt und 9 Suchtberichte aus der Zeit von 1995 bis heute ausgewertet.

Symptome

Die Abhängigkeit von Medikamenten ist eine für Außenstehende – und vor allem in der Anfangsphase auch für die Betroffenen – schwer erkennbare Sucht. Die folgenden Fragen können Betroffenen und dem Umfeld helfen, Symptome von Medikamentenabhängigkeit zu erkennen.

Fragen an Betroffene

Haben Sie wiederholt ein schlechtes Gewissen, wenn Sie Medikamente einnehmen?Täuschen Sie die Menschen in Ihrem näheren Umfeld über das wahre Ausmaß Ihres Medikamentenkonsums?Nehmen Sie Medikamente heimlich ein?Verstecken oder horten Sie Medikamente?Werden Sie stark unruhig, wenn nicht mehr genügend Medikamente zuhause vorrätig sind?Verschleiern Sie Ihren erhöhten Medikamentenbedarf, indem Sie Rezepte von mehreren Ärzten einholen und/oder Medikamente in unterschiedlichen Apotheken kaufen?Füllen Sie Medikamente in unauffällige Verpackungen wie beispielsweise Vitamintabletten um, um Fragen nach Ihrem Medikamentenkonsum zu umgehen?

Wenn Sie nur eine dieser Fragen mit Ja beantworten, ist der Verdacht auf Medikamentenabhängigkeit gerechtfertigt. Nehmen Sie das zum Anlass, einen Arzt oder Psychologen aufzusuchen. Es gibt Wege aus der Medikamentensucht. Gemeinsam mit einem Experten sind die Erfolgsaussichten auf Abstinenz gut.

Fragen an Angehörige/Freunde

Nimmt die Person in Ihrem Umfeld Medikamente regelmäßig ohne nachvollziehbaren Grund ein?Setzt die Person Medikamente regelmäßig ein, um arbeiten oder schlafen zu können?Wird die Person unruhig oder aggressiv, wenn Medikamente nicht unmittelbar verfügbar sind (auf Ausflügen, bei Reisen beispielsweise)Haben Sie schon einmal Verstecke mit Medikamenten in der Wohnung oder an ungewöhnlichen Orten (Gartenlaube/Auto oder ähnliches) gefunden?

Wenn Sie eine dieser Fragen mit Ja beantworten, ist das ein weiterer Hinweis auf den Verdacht, den Sie vermutlich schon länger hegen. Diese Verhaltensweisen sprechen für eine Medikamentensucht – und Hilfe scheint dringend angeraten. Die anzubieten ist allerdings nicht leicht.

Symptome werden häufig versteckt

Abhängige sind – gänzlich unabhängig von der Art des Suchtmittels – Weltmeister im Tarnen ihrer Erkrankung. Es gehört zu den ganz normalen Symptomen einer Sucht, dass der Süchtige sein Treiben einerseits verheimlicht, andererseits auf Ansprache mit verharmlosenden Erklärungen reagiert.

Insbesondere für Angehörige und Partner wird die Verheimlichungs- und Verleugnungstaktik von Abhängigen zur Belastung. Zuweilen führt die Sorge um den geliebten Menschen sogar zu einer Co-Abhängigkeit. Angehörige von Suchtkranken sollten sich vor allem mit Selbstschutz und Geduld wappnen. Im Durchschnitt vergehen 7 Jahre, bis ein verhaltensauffälliger Abhängiger den Weg in eine professionelle Therapie findet.

Ursachen

Das soziale Umfeld, der persönliche Umgang mit Medikamenten sowie Ärzte, Apotheker und Pharmaunternehmen spielen also eine Rolle auf dem Weg in die Medikamentenabhängigkeit. Wie stark ausgeprägt die genannten Faktoren sich auswirken, ist einerseits unter den Experten umstritten und andererseits auch individuell verschieden.

Medikamentensucht ist auch deswegen eine stille Sucht, weil sie sich häufig als Behandlung einer Erkrankung tarnt – oder im Zuge einer Therapie entsteht. Der Missbrauch von Schlafmitteln oder Schmerzmitteln ist Beispiel für den stillen Weg in die Medikamentensucht. Warum aber haben Medikamente überhaupt ein Suchtpotenzial?

Medikamente werden zum Suchtmittel, weil sie – wie andere Drogen auch – dabei helfen, unangenehmen psychischen oder körperlichen Zuständen auszuweichen. Medikamente nehmen Schmerzen, hellen düstere Stimmung auf, lassen uns trotz Unruhe schlafen oder stärker erscheinen. Die angenehme Wirkung verführt dazu, Medikamente auch dann einzusetzen, wenn wir sie – objektiv betrachtet – gar nicht (mehr) brauchen.

Mit Schlafmitteln in die Abhängigkeit

Es beginnt mit wenigen Schlaftabletten – nach dem Tod eines Angehörigen oder anderen schweren Verlusten, während der Prüfungsvorbereitung oder in einer persönlichen Krise. Häufig verordnen Ärzte in einer Phase der Unruhe mit Schlafstörungen Benzodiazepine oder Z-Drugs. Dabei bleibt oft auf der Strecke, dass diese Medikamente schon nach wenigen Wochen der Einnahme süchtig machen können. Außerdem beheben sie Schlafstörungen nicht langfristig, sondern verstärken eher die Entwicklung einer krankhaften Schlafstörung. Mit dem Ergebnis, dass die Betroffenen wieder Medikamente nehmen, um in den Schlaf zu finden.

Der Weg in die Medikamentensucht ist damit vorgezeichnet. Und wenn der Hausarzt ein Benzodiazepin nicht mehr verschreiben möchte, wird der Arzt gewechselt. Spätestens dieses Vorgehen ist ein Signal für Medikamentensucht. Im Ratgeber Gesunder Schlaf finden Sie umfassende, wie Sie Schlafstörungen vermeiden, Ihren eigenen Schlafrhythmus finden und wie Sie richtig mit Schlafmitteln umgehen.

Mit Schmerzmitteln in die Medikamentenabhängigkeit

Ein anderer Weg in die Medikamentenabhängigkeit ist der häufige Gebrauch von Schmerzmitteln. Opioide Schmerzmittel beispielsweise machen schnell körperlich abhängig. Bei starken chronischen Schmerzen nimmt man das als nicht zu vermeidende Nebenwirkung der Therapie gezwungenermaßen hin – unter ärztlicher Kontrolle. Ohne diese Kontrolle verselbstständigt sich der Opioidkonsum mitunter auf dramatische Weise.

Kritisch zu sehen ist der Gebrauch von Opioiden und anderen starken Schmerzmitteln bei vorübergehenden Schmerzen. Oft verschreiben Ärzte bei weitverbreiteten Rückenschmerzen starke Schmerzmittel. Das ebnet nicht selten den Weg in die Medikamentenabhängigkeit. Von 2005 bis 2012 steig die Zahl der ärztlich verordneten Schmerzmittel um 50 Prozent von 4,2 auf 6,3 Millionen Packungen.

Mit rezeptfreien Schmerzmitteln in die Sucht

Der Gebrauch von rezeptfreien Schmerzmitteln ist alltäglich. Rezeptfreie Schmerzmittel sind das meistgefragte Medikament: Deutsche Apotheken verkauften 2017 mehr als 100 Millionen Packungen mit einem Verkaufswert von 523 Millionen Euro.

Aber auch einfache rezeptfreie Schmerzmittel führen mitunter zu Missbrauch und Sucht. So etwa beim dauerhaften Gebrauch von Schmerzmitteln im Zuge eines schmerzmittelinduzierten Kopfschmerzes. Hier schließt sich ein verhängnisvoller Kreislauf von Kopfschmerzen, Schmerzmitteleinnahme und verstärkten Kopfschmerzen, die wiederum mit stärkeren Schmerzmitteln behandelt werden. Das Ergebnis: häufig eine Medikamentenabhängigkeit.

Viele Mädchen schlucken täglich Schmerztabletten

Etwa 20 Prozent der 14 bis 16 Jahre alten Mädchen nehmen nahezu täglich Schmerztabletten ein, wie eine Studie schon 2005 feststellte. Nach Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchgefahren stammten die Mädchen vornehmlich aus Haushalten, in denen die Eltern bei Kopfschmerzen und Alltagssymptomen schnell zur Tablette greifen. Dieses erlernte Verhalten überträgt sich auf die nächste Generation – ohne jedes Bewusstsein einer möglichen Gesundheitsgefährdung.

Fit und strahlend in die Sucht: Aufputsch- und Dopingmittel

Eine zunehmende Bedeutung bei der Entwicklung der Medikamentensucht spielen aufputschende und leistungssteigernde Medikamente. Ob Freizeit oder Beruf: Immer mehr Menschen empfinden starken Leistungsdruck. Und die Werbung suggeriert, dass jeder Mensch zu jeder Zeit gut gelaunt und leistungsfähig sein kann. Und falls dem mal nicht so sein sollte: Leistungssteigernde und belebende Medikamente werden schon im Vorabendprogramm beworben. Die Botschaft: Bei Unpässlichkeiten eine Pille einwerfen – und alles wird gut. In diesem Klima wird Leistungssteigerung durch Medikamente zum Lifestyle. Der Weg von der Kopfschmerztablette zum Aufputschmittel und zum Doping wird immer kürzer. Vor allem viele junge Männer begeben sich so fit und strahlend auf den Weg in die Medikamentensucht.

Diagnose

Moderate und schwere Substanzgebrauchsstörung (Medikamentensucht)

Das international gültige Diagnostic and Statiscal Manual nennt in seiner 5. Auflage (DSM-V) elf Kriterien, um den Grad einer Medikamentenabhängigkeit zu bestimmen.

Wiederholter Konsum, sodass wichtige Verpflichtungen in der Arbeit, in der Schule oder zu Hause vernachlässigt werdenWiederholter Konsum in Situationen, in denen es auf Grund des Konsums zu einer körperlichen Gefährdung kommen kannWiederholter Konsum trotz ständiger oder wiederholter sozialer oder zwischenmenschlicher ProblemeToleranzentwicklung, gekennzeichnet durch Dosissteigerung oder verminderte WirkungEntzugssymptome oder Substanzkonsum, um Entzugssymptome zu vermeidenLängerer Konsum oder in größerer Menge als geplant (Kontrollverlust)Anhaltender Kontrollwunsch oder erfolglose Versuche der KontrolleHoher Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von der Wirkung des Konsums zu erholenAufgabe oder Reduzierung von Aktivitäten zugunsten des SubstanzkonsumsFortgesetzter Gebrauch, obwohl körperliche oder psychische Probleme bekannt sindStarkes Verlangen oder Drang, die Substanz zu konsumieren (Craving).

Treten 2 bis 3 der Symptome innerhalb eines Jahres auf, entspricht die Diagnose einem Medikamentenmissbrauch (moderate Substanzgebrauchsstörung). Bei 4 und mehr Symptomen ist von einer Medikamentensucht (schwere Substanzgebrauchsstörung) auszugehen.

Behandlung

Die Therapie von Medikamentenanhängigkeit ist ein mitunter langwieriger und meist auch sehr belastender Prozess. In der Regel geht der Entwöhnungsbehandlung in Form einer stationären psychotherapeutischen eine Entgiftungsbehandlung im Krankenhaus voraus. Mehr über Ablauf und Erfolgsaussichten lesen Sie im Beitrag Suchttherapie.

Vorbeugung

Das beste Mittel zur Vorbeugung von Medikamentensucht ist ein sehr bewusster und kritischer Umgang mit Arzneimitteln. Insbesondere gesunde Menschen sollten sich darüber im Klaren sein, dass Medikamente Probleme nicht lösen können. Das gilt auch für vermeintliche harmlose nicht verschreibungspflichtige Medikamente.

Quellen

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